Versandhandel mit Kaisertum Öst. / Öst.-Ungarn Die Musiktafeln mit den Komponisten-„Säulenheiligen“ Geschichte der Firma bzw. der Fabrik Preis-Courantes
mit vielen
Abbildungen

Zur Geschichte der Firma J. H. Heller

„Sculpturen und Musikdosen“-Handlung

„Fabrik von Spielwerken“

„Handel mit Musikdosen und Phantasiegegenständen mit Musik“

Über die Firmengeschichte hat Eduard C. Saluz für seinen Aufsatz „Der Musikdosenhändler Johann Heinrich Heller aus Bern – eine Studie zum Musikdosenhandel um 1880“ (DMM Nr. 85 (2002), S. 11-27) wertvolle Recherchen angestellt, aus der im Folgenden zitiert wird.

Der 1830 in Thal im St. Gallerland geborene J. H. Heller als Stickereiwarenvertreter viel herum und lernte in St. Croix die Musikdosenfabrikation kennen und entschloss sich die Branche zu wechseln.

Im Jahr 1854 heiratete Heller ein Fräulein Stauffer aus Bern.

Der Ehe entstammen Heinrich Karl, genannt Henry, 1855-1942, ab 1883 Prokurist, übernahm nach dem Tod des Vaters im Jahr 1906 das Geschäft.

Hellers zweiter Sohn, Rudolf Ernst, 1856–1913, heiratete im Jahre 1882 in Sainte-Croix eine gewisse Amalie Marie Paillard. Ob und wenn in welchem Verwandtschaftsverhältnis sie zur Familie des Inhabers der Spieldosenfabrikanten Paillard stand, wurde noch nicht eruiert. Dass Henry nur ein Jahr nach der Eheschließung des Bruders Prokurist in der väterlichen Firma wurde, scheint darauf hinzudeuten, dass Rudolf Ernst eigene berufliche Wege ging.

„Da in der Schweiz vor den 1880er Jahren kein Handelsregisterzwang bestand, sind wir über die Gründung der Firma schlecht orientiert.“ (Eduard C. Saluz: Die Musikdosenindustrie in der Deutschschweiz. In: Klangkunst, S. 57)

Das heute noch bestehende repräsentative Zinshaus in der Bundesgasse 20 wurde um 1862 im Rahmen einer Gassenverlängerung gebaut und lag genau gegenüber des Luxushotels Bernerhof und in unmittelbarer Nachbarschaft des Bundeshauses, wie auf einem zeitgenössischen Stahlstich zu sehen:

„Sculpturen und Musikdosen“

Im selben Jahr 1862 wurde die Musikdosenfirma Perrin-Chopard gegründet, die befand sich nur zwei Häuser und damit im selben Häuserblock in der Bundesgasse 16.
Wann genau Heller sein „Sculpturen und Musikdosen“-Geschäft eröffnete, ist nicht bekannt, es muss bald nach 1862 gewesen sein.

In erster Linie Versandhändler
Heller war stark exportorientiert bzw. in erster Linie Versandhändler und dürfte im Inland nur etwa zehn Prozent der Produktion verkauft haben, und selbst davon ging ein Teil an Zwischenhändler, die ihrerseits ins Ausland weiterverkauften.

Abb. 5 (Saluz, Heller, 2002)

In Wien hatte Heller keine eigene Niederlassung und verkaufte nach Österreich-Ungarn ausschließlich über den Versandhandel.

In Berlin gab es zwei Geschäftspartner, die sich an den Hellerschen Werbetexten orientierten:
Conrad Felsing, nobles Uhrengeschäft, führte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch Spielwerke, und zwar  in einem derartigen Ausmaß, dass die Uhrenhandlung sogar auch als Musikinstrumentenhandlung firmierte.

Ein wesentlich kleineres Ausmaß hatte, hatte die Geschäftsbezehung zu L. Spillner.

Prominente Kunden
Heller bezeichnete sich als „Lieferant aller [!] europäischen Höfe“.
Es gelang ihm (nach eigener Angabe) Kontakte zum österreichischen Kaiserhaus in der Wiener Hofburg zu knüpfen, und sowohl die Kaisern Elisabeth, wie auch Kronprinz Rudolf statteten laut Heller seiner Firma in der Bundesgasse Nr. 20 Besuche ab.

Das erhalten gebliebene „Verkaufsbuch“ vermerkt auch den Fürst von Serbien, den Conte de Flandre, den Prinzen von Liechtenstein, die Prinzessin von Sachsen Meiningen und im Jahr 1874 den Sohn von Zar Nikolaus als Musikdosen-Kunden. 1883 wurde eine große Musikdose an „Seine Eminenz Rustem Pascha“ nach Konstantinopel in das Osmanischen Reich geliefert.

Einige Jahre unterhielt Heller Filialen an anderen Orten mit großem Fremdenverkehr. Für die Jahre nach 1883 sind solche in Nizza und Interlaken belegt. Spätestens 1896 war Heller ohne Filialgeschäfte nur mehr in Bern tätig.

Hellers Verkaufsbuch
Das Verkaufsbuch von Heller hat sich erhalten und wurde von Eduard Saluz ausgewertet: „Es sind gegen 1.800 geschäftliche Transaktionen verzeichnet. Rund 600 beziehen sich auf den Verkauf von Musikdosen im engeren Sinn, die andern auf den Handel mit anderen Gegenständen, oft in Kombinationen von Schnitzereiwaren mit Musikwerken.“ Weitere Details können in dem oben genannten Aufsatz von Saluz entnommen werden.

Vor dem Versand der Spieldosen gaben die Kunden meist eine Anzahlung, der Rest wurde beim Empfang bezahlt. Viele Verkäufe wurden „franco“ abgemacht, also inklusive Verpackung und Transport.

Die Firma Heller in den beiden Wirtschaftskrisen von 1873 und 1882

So viele Feinde muss man sich auch erst einmal verdienen!
Im Dezember 1883 erschien in der „Deutschen Uhrmacher Zeitung“ folgender Text, der hier aus Saluz’ Aufsatz zitiert wird:
„Zur Warnung. Eine sehr zeitgemäße Warnung wollen wir im Nachstehenden auf Grund authentischer, von amtlicher Seite unterstützter Erhebungen veranlassen. Alljährlich, insbesondere um die Weihnachtszeit, werden von einem Schweizer Spieldosenhändler Heller in Bern die auffälligsten Reklamen verbreitet, um namentlich deutsches Publikum für seine „Fabricate“ anzulocken. Er versendet diese nur gegen Nachnahme, und auf jeder Kiste ist die bedruckte Bemerkung aufgeklebt, dass geöffnete Sendungen nicht zurückgenommen werden. Von privater Seite wurden dem Treiben des Händlers näher getreten und es ergab sich alsbald, dass eine Ausbeutung des Publikums vorliegt, die, würde sie in Deutschland betrieben, kaum ohne Collision mit der Justiz möglich wäre. (… ) Seine Preise stehen in gar keinem Verhältnisse zum wirklichen Werthe der Waaren; er nennt sich „Fabrikant von Spieldosen, Orchestrions etc.“ – seine Fabrik besteht höchstens in einer Montier- und Reparaturwerkstatt (…).“

Weiter heisst es bei Saluz:
„Dieser Text wurde offenbar von einigen Zeitschriften in Deutschland nachgedruckt, denn Johann Heinrich Heller seinerseits verfasste ein Zirkular, das er den Redaktionen zustellte:“

„Löbl. Redaction“ Sie reproduzirten in Ihrem Blatt eine elende, gegen meine Firma gerichtete Publikation der Deutschen Uhrmacherzeitung. – Dieselbe enthält Punkt für Punkt die gröbsten Unwahrheiten, und lässt dadurch den Neid einer unsauberen Konkurrenz erkennen (…) Gestützt auf das 25jährige, an tausenden von Anerkennungen reiche Bestehen meiner Firma darf ich wohl die Erwartung aussprechen, dass sich das vorurtheilslose Publikum durch diese Machinationen nicht werde irre führen lassen (…) Bern, 8. Dezember 1883. Hochachtungsvoll J. H. Heller, Fabrikant von Spielwerken und Spieldosen.“

Die „Deutsche Uhrmacher Zeitung“ veröffentlichte aber Hellers Zirkular zwar in der Januar-Nummer 1884, hielt aber ausdrücklich an den Vorwürfen fest.

Damit hatte die Sache noch nicht ihr Ende gefunden, denn im Herbst 1884 erschien in der Zeitschrift „Fürs Heim – Praktisches Wochenblatt für alle Hausfrauen“ der folgende Frage-Antwort-Text:

„Kann mir jemand eine Fabrik für gute Spieluhren nennen?“

„Fabriken für Spieluhren (Spielwerke) sind für Private nicht zu empfehlen, da solche nicht detaillieren dürfen, oder nur zu einem solchen Preis, dass kein Vorteil damit verbunden. Außerdem warne ich dringend vor der (so genannten) Spielwerkfabrik Heller in Bern, Schweiz, da nach amtlichen Recherchen des preußischen Ministeriums bei der Stadtkanzlei Bern, derselbe gar keine Fabrik, vielmehr nur eine Reparaturwerkstätte besitzt (…) Ankauf solcher Sachen geschieht am besten am Ort selbst, wo man sieht, was man kauft (…)“

Bereits 1873 haben wir anlässlich des Falles Smith den Vorwurf an Heller gehört. Dass er seine Musikdosen nicht selber herstelle, sondern sie aus Genf beziehe. Auch Adolf Karrer äußerte sich im selbst Jahr ähnlich.

Von wem stammen die Hellerschen Spieldosen also wirklich?

Darüber gibt es keinerlei Aufzeichnungen, Heller pflegte stets den Mythos, selber Fabrikant zu sein.

Ab den 1870er-Jahren wurden die Werke mit Namenspunzen versehen, und die Werknummern stimmen mit der Hellerschen Nummern auf der Musikprogrammzettel bzw. -tafel überein.
Offenbar konnte Heller die Seriennummern der von ihm gekauften  Musikdosen vorgeben!

Bezugsquellen: Zuerst aus Genf, dann aus St. Croix

Die älteren Musikdosen hat Heller wohl aus Genf bezogen, denn die Verschraubung der Platine erfolgte von vorne und hinten. Die Schrauben sind aussen vorne und hinten auf dem Gehäuse zu sehen). Später bezog Heller seine Musikdosen aus Sainte-Croix: Das Musikwerk ist mit dem Gehäuseboden verschraubt. J. H. Heller inserierte im November 1878 dieses Jahres in der Zeitung von Sainte-Croix und suchte 'justifieuses et garnisseues sachant faire tous les genres de pièces'. (Eduard C. Saluz: Die Musikdosenindustrie in der Deutschschweiz. In: Klangkunst, S. 58)

“The economic crisis prevailing in the country did not spare them and Gustave Jaques was forced to declare bankruptcy, an event which did not go unnoticed and which preoccupied most of the music box manufacturers. They believed that Jaques had contacts with a music box blanks factory in Bern that wanted to convert to making finished boxes. So on 29th August 1878, the music box manufacturers of Sainte-Croix, at the specific request of two of them, met in order to dissuade Gustave Jaques-Adank from organizing a music box blanks factory in Bern, under the patronage of Heller.” (Piguet 2004, p. 235-237)

“Heller advertised in the local newspaper that he was looking for ‘pin straighteners and fitters capable of working on all types of music boxes’. (FAS 28th November 1878) Another advertisement, published on 4th December, unsigned but probably coming from Bern, adressed ‘manufacturers of cylinder escapements capable of delivering complete escapements, with tools and supplies’. All this more than likely annoyed the local établiesseurs.” (Piguet 2004, p. 235-237)

“However, J. H. Heller presented music boxes, fancy musical products and orchestrions at the National Exhibition of Zurich in 1883 and was awarded a diploma for services rendered to the development of this industrial sector. He pursued his activities in Interlaken and in Bern up until 1907.”
(Piguet 2004, p. 235-237)

Kein „billiger Jakob“, sondern Spieldosen hoher und höchster Qualität
Heller warb nie ausdrücklich mit günstigen Preisen, sondern wies immer auf die Qualität seiner Produkte hin. Auch heute noch erzielen manche hochqualitative Spielwerke Hellers fünfstellige Summen.

Kurzzeitig wirklich Fabrikant?
„Fabrik von Spielwerken“
Saluz führt aus:
Um 1880 findet sich auf einigen Inseraten der Hinweis: „Fabrik im eigenen Haus“. Damals schien Heller sich tatsächlich bemüht zu haben, eine eigene Fabrik zur Musikdosenherstellung in Bern aufzubauen. In Sainte-Croix ist aktenkundig, dass der in Konkurs geratene Fabrikbesitzer Gustave Jaques Adank im Jahr 1878 für Heller in Bern eine Fabrik für die Herstellung von Musikdosen einrichten sollte. Die Fabrikanten von Sainte-Croix versuchten, das Projekt zu hintertreiben, Heller ließ aber noch im November 1878 eine Annonce im „Feuille d`Avis“ von Sainte-Croix erscheinen, worin er „justifieuses et garnisseues sachant faire tous les genres de pièces“ suchte. Hier kann man auch darauf hinweisen, dass Hellers zweiter Sohn Rudolf Ernst (1856–1913) im Jahre 1882 in Sainte-Croix eine gewisse Amalie Marie Paillard heiratete. Ob sie mit der berühmten Fabrikantenfamilie verwandt war, ließ sich bisher nicht abklären. Überliefert ist ferner, dass Auguste Baud, der Vater der berühmten Frères Baud, zu Beginn der 1890er-Jahre in Bern bei Heller als „Rhabilleur“ (Reparateur) gearbeitet hat. Damals war die Firma im Berner Adressbuch als „Fabrik von Spielwerken“ bezeichnet. Das „weltberühmte Haus“ mit „vielen hunderten von Arbeitern“ wie in einem Inserat beschrieben wird, scheint aber eine sehr übertrieben Darstellung zu sein. Die Arbeiten in Bern gingen wohl kaum über die Endmontage der Musikdosen mit geschnitzten Gehäusen, die Befestigung der Musikprogrammkarten und das Punzieren der Werke hinaus.

Als Heller am 20. September 1906 starb, („Gestern mittag 1 Uhr ist nach kurzem Krankenlager Herr Johann Heinrich Heller, Chef und Gründer der renommierten Berner Firma J. H. Heller, im Alter von 76 Jahren gestorben“ lautete die Todesmeldung im Berner Tagblatt am nächsten Tag), übernahm Sohn Heinrich Karl (genannt Henry, 1855-1942), der bereits im Jahr 1883, in dem die Landesausstellung in Zürich stattfand, die Prokura erhalten hatte, das Geschäft des Vaters.

Landesausstellung 1883 in Zürich war ein Orchestrion zu sehen, von dem Heller behauptete, es selbst produziert zu haben

Über das Angebot der ab diesem Jahr von Vater und Sohn geleiteten Firma Heller lesen wir im Rapport zur Landesausstellung 1883 in Zürich: „J.H. Heller in Bern hat auch diesmal, wie bei vielen früheren Anlässen, durch eine Zusammenstellung von Artikeln aller Firmen und Größen seinen Reichthum an Phantasie und an Auskunftsmitteln bewährt: Portemonnaies, Biergläser, Schweizerhäuschen, musizierende Stühle, alles war da, und die Krone des Gabentempels sollte ein aus dem Heller´schen Atelier hervorgegangenes [!] Orchestrion bilden. Zur Zeit der Expertise war letzteres erst nothdürftig fertig gestellt worden. Die Jury, zwar im Allgemeinen geneigt, auf sorgfältige Vollendung mehr Gewicht zu legen als auf Buntescheckigkeit, konnte nicht umhin, diesem anregenden Sinn, diesem Eifer für Popularisierung und Verbreitung der Branche eine entsprechende Belobung zu Theil werden zu lassen.“ Ein Brief in den Ausstellungsakten erwähnt zu diesem Orchestrion, dass „solche bisher nur im Schwarzwald gefertigt wurden“ (Eduard C. Saluz: Die Musikdosenindustrie in der Deutschschweiz. In: Klangkunst, S. 59). Es ist wohl als gesichert anzusehen, dass auch die Hellerschen Orchestrien nur im Schwarzwald gefertigt worden sein können.

Im Jahr 1891 beantragte die Firma Heller ein Patent für eine Auslösevorrichtung mittels Münzen (Schweizer Patent Nr. 3249). (Eduard C. Saluz: Die Musikdosenindustrie in der Deutschschweiz. In: Klangkunst, S. 59)

In einem Nachruf auf J. H. Heller hieß es: „Aus schlichten Verhältnissen emporgewachsen, hatte der Verstorbene die kaufmännische Karriere erwählt. Mit der Zeit aber widmete er sich ausschließlich der Fabrikation der Musikdosen, in deren steter Vervollkommnung er seine Lebensaufgabe sah. Mit Klugheit, großer Energie und Geschäftskenntnissen ausgerüstet, brachte er im Laufe der Jahre sein Geschäft zu großer Blüte. Selbst gekrönte Häupter gehörten zu seinem Kundenkreis.“ (Eduard C. Saluz: Die Musikdosenindustrie in der Deutschschweiz. In: Klangkunst, S. 57)

„Handel mit Musikdosen und Phantasiegegenständen mit Musik“

Vom Niedergang des Musikdosengeschäftes ab etwa 1900 war natürlich auch J. H. Heller in sinn letzten Lebensjahren betroffen. Auch wenn die Firma Heller noch 1924 im Handelsregister als „Handel mit Musikdosen und Phantasiegegenständen mit Musik“ verzeichnet war, dürfte der Sohn vom Briefmarkenhandel gelebt haben.

In einem Nachruf auf Henry Heller war (etwas schönfärberisch) zu lesen: „In seiner Jugendzeit übernahm Henry Heller die Spieldosenfabrik seines Vaters und brachte diese zu großem Ansehen. Deren Präzisionswerke wanderten in die ganze Welt und es gab kaum ein Fürstenhaus in Europa, in dem nicht eine Musikdose der Firma Heller anzutreffen war.“ (Eduard C. Saluz: Die Musikdosenindustrie in der Deutschschweiz. In: Klangkunst, S. 58)