Um 1820 bis 1822 waren in Wien folgende Spielwerkmacher aktiv:

 

„OGHS“

 

Anton Olbrich
Peter Götz,

Eduard Heinrichssohn (1807 bis 1822),
Franz Schuster, ab 1818 experimentierend

 


Olbrich | Götz | Schuster | Heinrichssohn


So zumindest ist es im zweiten Band von Stefan Keeß’ „Beschreibung der Fabricate, welche in den Fabriken, Manufacturen und Gewerben des österreichischen Kaiserstaates erzeugt werden“ aus dem Jahr 1823 auf S. 207 nachzulesen. Dort erschien jene Textpassage, den der Autor in seiner „Darstellung des Fabriks- und Gewerbswesens“ von 1824 unverändert wiederholte:

„Jetzt begreift man unter dem Nahmen Carillons kleine Stahlfederwerke, die aus einer Reihe befestigter, verschieden tönender Stahlfedern (von 1, 3, 4, bis 5 Oktaven) bestehen, welche durch ein Uhrtriebwerk (Laufwerk) in Verbindung mit einer metallenen Walze, die mit kleinen stählernen Stiftchen besteckt ist, in Vibration gesetzt und klingend gemacht werden.“

Keeß beschreibt damit mit einfachen und eigenen Worten Sektionalkammspielwerke.

Besonders die Textpassage

„so vollkommen verfertiget, daß sie in Rücksicht der Stärke des Tones den Schweizer Carillons vorgezogen werden“

ist ein Indiz dafür, dass Keeß Glauben zu schenken ist, dass er zumindest eines dieser Spielwerke mit eigenen Ohren gehört hat oder einen Bericht von einer Person übernommen hat, von der sich Keeß sicher war, dass sie nicht irgendwelche Halbwahrheiten weitererzählt. Auch die Formulierung der „Reihe befestigter, verschieden tönender Stahlfedern“ kann nur ein Augenzeuge wählen. Es ist Stephan von Keeß also durchaus Glauben zu schenken. Dies ist eine wichtige Grundvoraussetzung für Keeß' weiteren Ausführungen:


„Jetzt [also etwa 1822 oder schon vorher, 1821, spätestens jedoch 1823, wenn Stephan von Keeß’ Buch im späteren Verlauf des Jahres 1823 erschienen sein sollte] werden sie von Franz Schuster, Anton Ulbrich [Olbrich], Wenzel [recte Peter] Götz, Heinrichsohn u[nd] a[nderen] so vollkommen verfertiget, daß sie in Rücksicht der Stärke des Tones den Schweizer Carillons vorgezogen werden. Die kleinen [für Taschenuhren] werden jedoch in Wien selten gemacht. Carillons mit 2 Stück kosteten im July 1822 zu Wien ohne Uhrwerk 50, 70 bis 95 Gulden, mit 4 Stück 145, mit 6 Stück von der besten Art 250 Gulden C[onventional-] M[ünze]“.

Die „anderen“, das wären noch ein fünfter, sechster oder siebenter Kammspielwerkmacher gewesen, wird man aus heutiger Sicht getrost weglassen können, es werden damit vielleicht etwaige Arbeiter der vier Genannten subsummiert worden sein, die im Dunkel der Anonymität geblieben sind.


Zu den Faksimiles


Olbrich | Götz | Schuster | Heinrichssohn


Warum Keeß in der Aufzählung die Reihenfolge S, O, G und H wählte, also Franz Schuster noch vor Olbrich reihte, ist vermutlich dadurch begründet, dass Franz Schuster 1818 mit einer eigenen Erfindung eine sechsoktavigen Tasteninstrument hervorgetreten ist, was beim Abschnitt über Franz Schuster nachzulesen ist. Schuster war damals wohl der prominentere als der noch junge Anton Olbrich. Mit ihm dürfte Keeß Kontakt aufgenommen haben, wie man aus dem Einblick in das Original ergibt schlussfolgern kann.

Was die spätere Bedeutung betrifft, ist die Reihefolge „OGSH“ richtig, zumindest nach derzeitigem Wissensstand.

 

Was die Chronologie angeht, könnte es durchaus umgekehrt gewesen sein, nämlich „HSGO“:

 


Heinrichssohn


Der erste Spielwerkmacher der genannten vier am Platz war der vielleicht älteste, Edmund Hinrichssohn, er starb als Sechszigjähriger noch im Jahr 1822.


Schuster

Das Wissen über Franz Schuster ist derzeit leider noch sehr dürftig und bruchstückhaft. Die Erfindung eines neuen Tastesintrumentes (in der Art eines Tafelklavieres) macht ihn besonders interessant.


Götz


Von Peter Götz sind seine Tätigkeit als Spielwerkmacher bewiesen, denn haben einige seiner Produkte überlebt. Man kann also davon ausgehen, dass Keeß Peter Götz meinte. Da sowohl Peter wie Wenzel zwei „e“ aufweisen, könnte es sich wohl am ehesten um einen Höhr- oder Gedächtnisfehler handeln.

 

Sollte es wirklich einen Instrumentenbauer oder Musikmaschinisten namens Wenzel Götz gegeben haben, eine Person dieses Namens lässt sich ja immerhin nachweisen, können wir einen nahen Verwandten vermuten, der im Fahrwasser bei und für P. G. tätig gewesen sein könnte. Einen in Wien ansässigen „Wenzel Götz“ gab es nämlich, aber dessen Beruf wurde als „Viehmayer“, also Viehzüchter, (Wiener Zeitung 5. September 1822, S. 3, 29. Oktober 1833, S. 4), bzw. als „Milchhändler“ (Wiener Zeitung 21. Oktober 1834, S. 4) und 1838 bereits als „gewesener [ehemaliger] Milchverschleisser“ (Wiener Zeitung 10. Juli 1838, S. 4) angegeben, und der ist von dem eines (Spiel-) Uhrmachers doch einigermaßen entfernt. Allerdings gab es einen „Berufskollegen“ von Wenzel Götz, also einen „Milchmayer“, der in Wien auch dirigierte und komponierte, das war kein geringerer als Gaetano Donizetti, 1797 bis 1848. Dieser hielt sich in den 1840-er Jahren im Hof des Hauses Wiedner Hauptstraße 66 eine Kuh, deren Milch er verkaufte. Die Berufsbezeichnung „Milchmayer“ stammt von Donizetti selbst! Die Erwähnungen von Wenzel Götz ist dem tragischen Umstand zu verdanken, dass in den oben genannten Zeitungsmeldungen die Todesfälle seiner Kinder berichtet wurde, und die Totenscheine sind ja amtlich ausgestellt. W. G. war also „wirklich“ Milchmayer.


Olbrich


 

Anton Olbrich [sen.] sollte bei weitem der bedeutendste werden, ihm sollte sein gleichnamiger Sohn nachfolgen, der bis 1892 lebte. Der Bruder des Firmengründers, Josef Olbrich, geboren im Jahr 1800, arbeitete zunächst bei Anton Olbrich senior, ab 1848 selbständig, und nach seinem Ableben im Jahr 1875 wurde die Firma durch Josef Wyskočil und einer Barbara Wyskočil, in der wir die Tochter vermuten können, nahezu unglaublicherweise bis zum Jahr 1926 weitergeführt, immer als „Josef Olbrichs Nachfolger“.

 

105 Jahre lang Spielwerkerzeugung! Der Namen Olbrich ist sich also beachtliche 105 Jahre lang, von 1821 bis 1926, im Zusammenhang mit einer Spielwerkerzeugung in den Adressbüchern zu finden: Der Bogen spannt sich also von Redls Adressbuch von 1821, in dem A. O. [sen.] als Spielwerkmacher bezeichnet wird, der Infomationsstand bezieht sich auf 1920, eventuell sogar auf 1819, bis zum Lehmann-Adressbuch des Jahres 1926, in dessen Häuserverzeichnis noch im Jahr 1926 eine Wohnung mit „Arbeit“ bezeichet wird, also eine Wohnung, die nicht Wohnzwecken diente, sondern als Betriebsstätte. Mieterin der Wohnung war Barbara Wyskočil, die Nachfolgerin von Josef W., der seinerseits Nachfolger von Josef Olbrich war, dem Bruder von A. O. Ob bei Barbara W. im 1926 nur mehr Grammophone repariert wurden oder auch noch Olbrich-Uhrenspielwerke, lässt sich heute nicht mehr sagen, aber sie beharrte im Lehmann-Adressbuch auf dem Wort „Spielwerkerzeugung“, auch wenn noch nie jemand ein Olbrich-Spielwerk aus den 1920-er Jahren gesehen hat, das sich wenigstens gerüchteweise verbreitet und herumgesprochen hätte.